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Idyllisch geehrter Herr Professor,
wie schön ist es, zu Gast bei Freunden zu sein! Sie können sich nicht vorstellen, wie fantastisch sich ein Gast in Deutschland fühlen kann!
Am letzten Wochenende ging ich mit einem schwarzen Bekannten zu einem Fußballspiel. Vor dem Stadion haben wir ein Paar nette junge Leute getroffen, die echten Fußball-Fans, alle mit den Frisuren á la Fabien Barthes. Sie waren so nett, dass sie meinem Begleiter sofort eine Banane schenken wollten, obwohl sie ihn überhaupt nicht kannten.
Den armen Jungs war offensichtlich zu warm in ihren schweren Stiefel, kein Wunder also, dass sie versuchten die Schuhe durch das Fußschütteln auszuziehen. Dabei hat ein Stiefel rein zufällig meinen Bekannten auf die Wade getroffen.
Er packte instinktiv meine Hand, was bestimmt einen falschen Eindruck erweckte.
Es wirkte wahrscheinlich so, als ob er mich angreifen wollte. Selbstverständlich eilten die ritterlichen Fußballverehrer einer bedrängten Dame zu Hilfe, wobei Stiefel, Ketten und Schlagringe eine bedeutsame Rolle spielten.
Das war so kulturell geladen! Und äußerst inspirierend: mein Koloratursopran hat früher noch nie solche Fülle und Kraft entwickelt.
Als Kulturpädagogin habe ich allerdings kläglich versagt. Ich war nicht in der Lage, unsere lieben Freunde zu überzeugen, dass mein Bekannter mit der Filmindustrie nichts zu tun hat und nur irrtümlich für den King Kong gehalten wurde. Vielleicht lag es an meinem Akzent? An meinem Deutsch muss ich noch arbeiten!
Wir haben uns wirklich köstlich amüsiert! Und als ob das Vergnügen nicht gereicht hätte, haben uns unsere teueren Gastgeber ermöglicht, die ganzen zwei Wochen den vorzüglichen deutschen Gesundheitsservice zu genießen! Ich durfte mir den rosa Gips wünschen.
Ist das nicht schön?
Ich möchte die deutsche Kultur unbedingt noch näher kennen lernen! Vielleicht kommen Sie mich besuchen um mir "Faust" vorzulesen? Ich werde nämlich noch einige Zeit nicht sehen können.

Ihre unverkennbar ausländische
Studentin